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Politik am Rande der Schulter-niederlage

   

Ringen muss olympisch
bleiben


von Benedict Rehbein


Hintergrund

Die Deutschen Ringkämpfer haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich in ihrer Nische eingerichtet:  Ehrlicher und verletzungsarmer Kampfsport, der „ganz nebenbei“ gesellschaftliche Grundwerte vermittelt. Mit diesem Konzept lebten die Ringer ganz gut, der Sport ist in Deutschland durch alle Schichten hindurch akzeptiert.  Nun droht dem olympischen Ringkampf aber Ungemach aus einer ganz anderen Richtung – vom Internationalen Olympischen Komitee. 

Überraschende Nachricht

Es war eine Nachricht, die alle überrascht hat: Ringen soll aus dem Olympischen Programm gestrichen werden. Diese Ankündigung des International Olympic Committee (IOC) kam nicht nur aus dem Nichts, sie ist auch völlig undenkbar, gehört Ringen doch zu den Kernsportarten der Spiele. Neben Doppellauf, Langlauf und Fünfkampf war der Ringkampf schon in der Antike ein fester Bestandteil der Olympischen Spiele und ist seitdem ununterbrochen eine feste Größe. „Beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf erleuchte die Kraft, die den edlen Spielen innewohnt ...", so heißt es im Text der offiziellen Olympischen Hymne. Olympia ohne Ringen? Kaum vorstellbar. Entsprechend deutlich war die Reaktion der sportinteressierten Gesellschaft: Binnen Stunden folgte eine weltweite Protestwelle, wie sie das Komitee wohl selten erlebt hat, auch jetzt ist die Empörung darüber noch nicht abgeebbt. Nicht nur Ringer protestieren gegen die IOC-Pläne, auch Medien, Politiker und Athleten aus anderen Sportarten erklären sich auf der ganzen Welt sofort solidarisch.

Völkerverbindende Solidarität

Ringer, Ringervereine und Dachverbände starteten binnen Tagen verschiedenste Kampagnen, eine davon die amerikanische „Save Olympic Wrestling“, die mit diversen Aktionen schon in den internationalen Medien Einzug gehalten hat. Aber noch viele mehr organisierten ihren Widerstand, mit dem Ziel, den Plan des IOC zum Kippen zu bringen. Die endgültige Entscheidung dazu fällt das IOC voraussichtlich im Mai in Sankt Petersburg. Russlands Präsident Wladimir Putin spricht sich bereits gegen die Entscheidung aus, Vorzeigeringer und Dreifach-Olympiasieger Alexander Karelin ist in den Vorstand des Weltverbandes FILA aufgerückt und bringt wortwörtlich ein zusätzliches Gewicht in die Argumentation der Ringkämpfer. Sogar die Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees zeigt ungewohnt deutlich Flagge – und fordert den Verbleib von Ringen im Programm. Auch die USA und Iran haben sich zusammengetan und ihre Bilder in die Welt gesendet, Ringen schafft, was Politik schon jahrelang versucht. Beim Weltcup der Ringer in Teheran jubelten 20.000 Iraner den amerikanischen Ringerstars zu, gemeinsam posierten die Sportler für die Presse, während sich ihre Staaten politisch unversöhnlich gegenüber stehen. Pierre de Coubertin wäre stolz auf das, was Ringen derzeit für die olympische Idee leistet. Einmal mehr zeigt sich an dieser Entscheidung, was der Sport alles schaffen kann.


Mangelnde Quote als Argument?

Die Geschehnisse der letzten Wochen machen deutlich: Die Pläne des IOC werden nicht nur kritisch beäugt, sie lösen auch Grundsatzdiskussionen aus: Kann und sollte ein Sport sich permanent neu erfinden müssen? Ist mangelnde Quote ein gutes Argument für die Herauslösung einer Kernsportart aus dem olympischen Programm? Und sind die Medien, die sich lange zurückgehalten haben und nun alle die Berichterstattung forcieren, nicht am Ende auch Teil des Problems? In Deutschland können die Sendeminuten über Ringkampfsport leicht an einer Hand abgezählt werden – ungeachtet der 60.000 Ringkämpfer und der durchaus bestehenden Möglichkeiten, den auf Runden basierenden Ringkampf medial zu inszenieren. Jetzt, in der Stunde der Not, steigt die Medienpräsenz an. Freuen können sich die Ringer darüber aber nur bedingt.


Ringen als politisches Opfer

Weltweit wird Ringen aus gutem Grund als politisches Opfer der laufenden Diskussion innerhalb des IOC gesehen. Nur hätte wohl kaum jemand innerhalb des Komitees erwartet, dass die Reaktionen der Öffentlichkeit so vehement ausfallen würden – deshalb reagieren die Funktionäre jetzt entsprechend überrascht und rudern zurück. Aus einem fast endgültigen Entschluss wurde in Stellungnahmen der IOC-Vertreter schnell eine „Warnung“, die Türe für die Ringer scheint nach drei Wochen Protest nicht mehr so fest verschlossen wie noch Mitte Februar.


Marketingkalkül wider den olympischen Geist 

Dennoch ist es – unabhängig vom Ausgang der Diskussion - ungesund, wenn sich Sport und Politik derart überschneiden, wenn Quoten zum entscheidenden Faktor werden und wenn Marketing-Kalkül den olympischen Geist verdrängt. Die Gesellschaft ist an dieser Stelle gefragt, um als Korrektiv entgegen zu wirken und den Vorstoß des IOC zu negieren. Ein gesellschaftlicher (positiver) Protest allerdings will organisiert sein.


Ringen um Olympia

In Deutschland und Österreich haben sich unter dem Kampagnennamen „Ringen um Olympia“ (www.ringen-um-olympia.de) alle Unterstützer zusammengeschlossen und zeigen, was ihr Sport leistet. Aller Orten sind Initiativen gestartet worden, junge Sportler laufen von Türe zu Türe und bitten um Unterschriften, um ihren eigenen olympischen Traum zu retten. Die deutschen Ringer setzen zeitgleich auf der Internetseite ein Zeichen der Erneuerung und sammeln Ideen für eine bessere Vermarktbarkeit – im Rahmen des sportlich Vertretbaren. In Vermarktbarkeit und beim Absatz von Merchandising, in diesen Punkten hinken die Ringer anderen Sportarten noch hinterher und hier sollte eine schrittweise Verbesserung möglich sein. Andere Argumente gegenüber dem IOC benötigen die Ringer eigentlich nicht mehr  - denn diese liegen bereits auf der Hand. Ein Sport, der jedem Kind, unabhängig vom finanziellen Status seiner Eltern, zugänglich ist und wichtige Werte wie Fairness, starken Willen und Disziplin vermittelt. Ein Sport, der auf der ganzen Welt verbreitet ist, die Medaillengewinner der letzten Spiele kamen aus 27 (!) verschiedenen Nationen. In Ländern wie Aserbaidschan, Georgien, Iran, Kasachstan, Russland, der Türkei, der Ukraine und den USA ist Ringen ein Volkssport. Genau diese Vielzahl der verschiedenen Kulturen stellt den Olympischen Gedanken dar.  Spiegelt Coubertins Idee von den
Olympischen Spielen der Neuzeit wieder. Den Spielen lag Coubertins Wunsch zugrunde, Nationalitäten zu überwinden und für eine internationale Verständigung einzutreten. Es sollte eine Verknüpfung zwischen den antiken Spielen und denen der Neuzeit entstehen, zwischen „Tradition und Moderne“.  Die "Jugend der Welt" sollte sich bei friedlichen und sportlichen Wettkämpfen miteinander messen. An dieser Stelle setzt auch Ringen an. Der Sport leistet wertvolle Erziehungs- und Integrationsarbeit, vom Schulhof bis ins Erwachsenenalter, ein Wegfall bei Olympia wäre ein schwerer Schlag auch für die Gesellschaft.


Der Kern der Spiele steht in Frage

Der Präsident des Deutschen Ringer-Bundes (DRB), Manfred Werner, ist sich deshalb sicher, dass das IOC sich in den nächsten Wochen für den Verbleib des Ringens als Olympische Sportart positionieren und den bisherigen Vorschlag überdenken wird. Denn es geht nicht nur um ein „Ringen für Olympia“ – hier findet vielmehr ein „Ringen um Olympia“ statt. Der Kern der Spiele selbst wurde in Frage gestellt. Werner hatte sich auch kurz nach der Entscheidung mit IOC-Vize Dr. Thomas Bach getroffen, um seine Gedanken und seine Position nachzuvollziehen.  „Das Treffen mit Dr. Bach war eine wertvolle Vertiefung nach unserem Gespräch direkt nach der Entscheidung der IOC-Exekutive. Seine offenen Worte und seine Einschätzung sind sehr hilfreich für uns“ resümierte Werner. Es ist ein Taktieren zwischen Funktionären: Bach und der DOSB können (und wollen) sich nicht eindeutig positionieren. Der Ringer-Bund auf der anderen Seite kann das Geschehene nur dezent kritisieren,  ohne seine wichtigen Partner auf sportpolitischer Seite zu verprellen. Das „Ringen um Olympia“ ist deshalb ein konsequenter Mittelweg: Durch positive Unterstützung von allen Seiten brechen Sportfans aus allen Bereichen eine Lanze für das Ringen – allein in den ersten drei Wochen nach Bekanntgabe der IOC-Pläne sammelten die Ringer über 50.000 Unterschriften „pro Ringen“. Auf der anderen Seite diskutieren Medien und Sportverbände ganz offen über das Wesen von Olympia, denn der Ringkampf steht an dieser Stelle (und auch in der Kampagne) vor allem für eine grundsätzliche Wertediskussion und das Wesen der Olympischen Spiele.


Mehr zur Kampagne

www.ringen-um-olympia.de





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