Murphy ist nicht Bosman

   

Sportrechtvergabe nach dem Premier League-Urteil des EuGH


     von Dr. Falk Schöning und
     Dr. Jens Hackl, Hogan Lovells Berlin 



Im Vorfeld der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Fall "Karen Murphy" vom 4. Oktober 2011 ließen einige Stellungnahmen vermuten, dass ein "potentielles Bosman-Urteil für Fernsehrechte" (BBC) bevorstehe. Und tatsächlich haben Europas oberste Richter im Falle der britischen Pubwirtin, die über griechisches Bezahlfernsehen Premier League-Spiele zeigte, festgestellt, dass Vertriebsbeschränkungen ausländischer Pay TV-Decoderkarten unter Umständen gegen die Dienstleistungsfreiheit und das Kartellverbot verstoßen können. Ist dies das Ende der territorialen Exklusivität von Sportrechten? Der folgende Beitrag zeigt, dass das Murphy-Urteil in der Praxis keine Revolution der Sportrechtevergabe herbeiführen wird.




Hintergrund

Veranstalter von attraktiven Sportereignissen (z.B. Fußballligen, Formel 1, Boxen) räumen ihren Lizenznehmern (z.B. TV-Sendern) die Satelliten-Ausstrahlungsrechte typischerweise exklusiv für ein Land ein. Dies ermöglicht die optimale Vermarktung von Sportereignissen, weil erhebliche Unterschiede in den nationalen Präferenzen bestehen, die sich in den Lizenzeinnahmen niederschlagen. Beispielsweise lassen sich für Fußballübertragungsrechte in dem Land der jeweiligen Liga deutlich höhere Erlöse erzielen als im Ausland.

Zum Schutz der territorialen Exklusivität verpflichten sich die einzelnen Sender in den Lizenzverträgen regelmäßig dazu, ihr Satellitensignal zu verschlüsseln und nur im zugewiesenen Gebiet auszustrahlen. Zudem müssen die Lizenznehmer meist sicherstellen, dass Smart Cards zum Entschlüsseln des Satellitensignals nur innerhalb des zugewiesenen Gebiets vertrieben werden. 

Nach diesem Prinzip ging auch die englische Premier League in dem der Murphy-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor: sie vergab die Senderechte für die Fußballübertragung in Großbritannien exklusiv an den Pay TV-Anbieter BSkyB und in Griechenland exklusiv an den griechischen Anbieter Nova. Zudem verpflichtete die Liga die Sender zur Ver-schlüsselung des Programms und verbat den Verkauf von Decoderkarten im Ausland. Aufgrund von Preisunterschieden für eine Gastronomie-Lizenz von ca. 6000 EUR pro Jahr zwischen Griechenland und Großbritannien erwarben einige englische Pubbetreiber (u.a. die erwähnte Karen Murphy) griechische Decoderkarten unter Angabe von falschen Namen und Adressen in Griechenland, um anschließend die Spiele der Premier League in ihren Pubs zu zeigen. Die Premier League ging dagegen zivil- und strafrechtlich vor. Die darauf folgenden britischen Gerichtsverfahren führten zur Vorlage des Verfahrens an den EuGH.


Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass Beschränkungen der Einfuhr, des Verkaufs und der Verwendung ausländischer Decoderkarten gegen die Dienstleistungsfreiheit und gegen das Kartellverbot des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verstießen, weil sie eine Marktabschottung und eine Marktaufteilung zur Folge hätten. Diese Folgen seien mit der Verwirklichung des Binnenmarkts als grundlegendem Ziel der Europäischen
Union nicht vereinbar.

Eine Rechtfertigung aufgrund des Urheberrechtsschutzes lehnte der EuGH ab. Sportereignisse wie ein Fußballspiel seien nicht als persönliche geistige Schöpfung und damit als "Werk" im Sinne des Urheberrechts anzusehen. Auch sei ein Verbot des Handels mit Smart Cards nicht erforderlich, um den Rechteinhabern eine angemessene Vergütung zu gewährleisten. Vielmehr führe die Beschränkung des Smart Card-Vertriebs nach Ansicht des EuGH nur zu künstlichen Preisunterschieden zwischen abgeschotteten nationalen Märkten. Das Urheberrecht solle zwar eine angemessene, nicht aber die höchstmögliche Vergütung der Urheber sicherstellen.


Unmittelbare Auswirkungen der
Entscheidung 

Rechteinhaber müssen aufgrund des Murphy-Urteils überprüfen, ob sich in ihren Lizenzverträgen möglicherweise verbotene kartellrechtliche Klauseln befinden. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn es sich um Beschränkungen der Einfuhr, der Verwendung und des Verkaufs von Smart Cards bei Pay TV-Sendern handelt. Diese Klauseln sind wegen eines Verstoßes gegen das Kartellrecht unwirksam und müssen angepasst werden. 

Auf der anderen Seite stellt das EuGH-Urteil aber nicht die territoriale Beschränkung von Lizenzen
oder die Verschlüsselung von Inhalten als solches in Frage. Insofern wird es anders als das Bosman-Urteil 1995, das die Ausländerregelungen im Profi-Fußball tatsächlich revolutionierte, nicht die nationale Lizenzierungspraxis für Pay TV-Sportrechte von einem Tag auf den anderen beenden.

Für Fußballfans und Gastronomen hat das Urteil aber die unmittelbare Folge, dass sie nunmehr legal ausländische Decoderkarten erwerben können, um Fußball sehen bzw. zeigen zu können. Allerdings ist diese theoretische Möglichkeit des Erwerbs ausländischer Decoderkarten in der Praxis mit Einschränkungen verbunden, die die praktische Bedeutung ausländischer Pay TV-Angebote vermindern.

Zum einen wird ein ausländisches Angebot aufgrund der Kommentare in Landessprache vielfach nicht als vollständiges Substitut angesehen werden. Zum anderen sind ausländische Pakete nicht zwingend wesentlich günstiger als einheimische Angebote. Schließlich entstehen durch die Suche nach einem ausländischen Anbieter, die gegebenenfalls erforderliche Anpassung der Satellitenschüssel oder den Kauf eines neuen Decoders zusätzliche Kosten. 


Folgen für andere Übertragungswege

Über die unmittelbaren Folgen für Pay TV-Satellitenfernsehen hinaus stellt sich die Frage, ob die Ausführungen des EuGH auch für andere Übertragungswege (z.B. Kabelfernsehen oder den wachsenden Onlinemarkt) gelten. 

Dabei ist erneut zu unterstreichen, dass die Richter nicht nationale Lizenzen an sich für unzulässig erklärt haben, sondern nur Maßnahmen, die über das Erforderliche hinaus – in diesem Fall den Vertrieb von Decodern und Smartcards betreffend – das Lizenzrecht absichern. Bei Kabelnetzen mit ihrer festen räumlichen Belegung ist die Binnenmarktrelevanz daher nicht in vergleichbarer Weise gegeben, weil die Kunden die Leistung Pay TV de facto nicht in anderen Mitgliedsstaaten nachfragen können. 

Fraglich ist aber, ob das im Rahmen der Onlineverbreitung angewandte sogenannte Geoblocking, das über die IP-Adresse den Zugang z.B. auf einen Sport-
Livestream aus dem Ausland verhindert, nach dem Urteil noch zulässig ist. Zweifel entstehen deshalb, weil die Beschränkung im Ergebnis zu einer Marktabschottung wie das Verwendungsverbot ausländischer Decoderkarten führen kann. Andererseits kann dem Urteil nicht entnommen werden, dass der EuGH seine Ausführungen zum Binnenmarktprinzip auf Bereiche ausdehnen wollte, in denen die Gebietsbeschränkung auf der – grundsätzlich zulässigen – territorialen Exklusivität an sich beruht, die der Übertragungsart inhärent ist. Dies wäre zumindest dann der Fall, wenn bei der Online-Übertragung überhaupt erst das Geoblocking angemessene Lizenzeinnahmen ermöglicht, wie es beim werbefinanzierten Free TV der Fall sein dürfte. Für Pay TV-Dienste, die internetbasiert angeboten werden, mag allerdings zumindest für den sogenannten "passiven Vertrieb" (siehe dazu unten) anderes gelten.


Europaweite vs. nationale
Lizenzvergabe 

Unmittelbar vor und nach der Murphy-Entscheidung wurde teilweise davon ausgegangen, dass das Urteil den Beginn einer pan-europäischen Lizenzvergabe markiere. Diese Folge hat sich im Sportrechtemarkt bislang nicht eingestellt, wie allein die Bundesliga-Rechtevergabe durch die DFL 2012 gezeigt hat. 

Dies ist auch nicht verwunderlich, weil der EuGH in seinem Urteil (ebenso wenig wie das das Bundeskartellamt im Verfahren zur Bundesliga-Rechtevergabe) gefordert hat, dass Rechteinhaber keine nationalen Exklusivlizenzen mehr vergeben. Aus dem Murphy-Urteil folgt insoweit lediglich, dass nur die "absolute gebietsabhängige Exklusivität" verboten ist, weil damit "jeder Wettbewerb zwischen den Rundfunkanstalten" ausgeschaltet werden kann.

Die Praxis wird sich daher vor allem mit der Frage beschäftigen müssen, wann eine exklusive Gebietszuweisung "absolut" abgesichert ist. Zulässig dürfte es zumindest sein, die territoriale Lizenz durch eine Verpflichtung des Sendeunternehmens abzusichern, nicht "aktiv" (im Sinne der kartellrechtlichen Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung) für Sportübertragungen außerhalb des Lizenzgebiets zu werben. Dies könnte auch die Verpflichtung der Sender beinhalten, Sportereignisse ausschließlich in der Landessprache zu kommentieren. 

Der Sachverhalt von Karen Murphy wäre demgegenüber ein Fall "passiven" Vertriebs gewesen, weil die britische Pubbesitzerin Pay TV-
Dienste nicht in ihrem Heimatland, sondern in Griechenland nachgefragt hat. Derartige Anfragen dürfen zukünftig nicht mehr durch vertragliche Klauseln behindert werden, die den Versand von Decoderkarten o.ä. untersagen.


Politischer Handlungsbedarf

Der Ruf nach dem Gesetzgeber ertönt oft schnell und vernehmlich, wenn vielfach beachtete Urteile Unruhe verbreiten. Im Lichte der gebotenen begrenzten Auslegung des Urteils erscheint es allerdings nicht erforderlich, politisch auf die Murphy-Entscheidung zu reagieren. 

Das Urteil reiht sich in die bisherige Rechtsprechung des EuGH nahtlos ein und zielt auf die Durchsetzung eines der grundlegendsten Ziele der Europäischen Union, nämlich der Verwirklichung des Binnenmarktes, auch und gerade durch kartellrechtliche Regulierung. Wendet man die kartellrechtlichen Grundsätze mit Augenmaß an, sind die Auswirkungen auf Rechteinhaber tragbar, da das Urteil insgesamt nur überschaubare Anpassungen der bisherigen Praxis erforderlich macht. Damit ist auch ein Einbruch der Erlöse aus der Rechtevergabe in der Zukunft nicht zu erwarten. Insofern gilt: Murphy ist nicht Bosman.