Ehrenamt
vs. Good Governance?

 

von Sylvia Schenk,
Transparency International



Die Europäische Dimension des Sports

Als erstes fällt immer noch das Stichwort „Bosman-Urteil“, wenn es um den Einfluss der Europäischen Union („EU“) auf den Sport geht. Der Name des belgischen Profis, der 1995 vor dem Europäischen Gerichtshof  erfolgreich gegen die Einschränkung seiner Freizügigkeit als Arbeitnehmer durch die im Fußball üblichen Ablösesummen klagte, wurde zum Synonym für den Eintritt der EU in die Welt des Sports. Trotzdem sind die professionellen Athletinnen und Athleten in der EU nach wie vor Arbeitskräfte zweiter Klasse, denn die nationalen und internationalen Verbände kämpfen weiterhin vehement dafür, auch bei zunehmender Professionalisierung und Kommerzialisierung fast aller Bereiche des Sports eine Sonderrolle zugestanden zu bekommen. So wurde mit dem Lissabon-Vertrag 2009 zwar erstmals der Sport als ein Ziel der EU definiert, doch
§ 165 AEU-Vertrag besagt auch, dass die Union bei der Förderung der Europäischen Dimension des Sports „dessen besondere Merkmale, dessen auf freiwilligem Engagement basierende Strukturen sowie dessen soziale und pädagogische Funktion“ berücksichtigt.

Good Governance Voraussetzung für Autonomie und Selbstregulierung

Umso wichtiger ist es, die konkrete Ausgestaltung dieser EU-Aufgabe im Blick zu behalten. Die Besonderheiten des Sports dürfen den Sportorganisationen nicht dazu dienen, sich um ihre Verantwortung für Transparenz, Verantwortlichkeit und Integrität zu drücken. Im Gegenteil: Nur wenn die Vereine und Verbände des Sports Demokratie wirklich leben, ihre Interessengruppen (Stakeholder) angemessen beteiligen und den heutigen Anforderungen von "Good Governance" genügen, können sie berechtigterweise Rücksichtnahme auf  ihre spezifischen Strukturen und Funktionen einfordern. In ihrer Mitteilung zur "Entwicklung der Europäischen Dimension des Sports" vom 18. Januar 2011 betont die EU-Kommission zu Recht, dass "Good Governance im Sport eine Voraussetzung für die Autonomie und die Selbstregulierung von Sportverbänden" ist (4.1 der Mitteilung).



Kern der aktuellen Herausforderungen der Selbstverwaltung

Dass hier noch viel Überzeugungsarbeit nötig ist, zeigte sich bei der Auftaktdiskussion eines von der EU geförderten Projektes "Good Governance in Grassroots Sport" im Januar 2012: Auf die Frage, wie ein Breitensportverband bei einem Bauvorhaben den damit verbundenen Korruptionsrisiken durch präventive Maßnahmen begegnet sei, lautete die verblüffende Antwort "Wir brauchen das nicht, wir machen das ja ehrenamtlich." Es gab kein Bewusstsein für Risiken, die selbstverständlich auch – oder sogar in besonderem Maße – in ehrenamtlich geführten Verbänden auftreten können. Stattdessen verstanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Ziel "guter Führung" ein effektiveres Marketing oder die Verbesserung ihrer Pressearbeit.

Im professionellen Sport sowie bei den Verbänden, selbst wenn sie international längst zum "Global Player" mit Milliardenumsatz aufgestiegen sind, sieht es nicht anders aus. Die Diskussionen der vergangenen zwei Jahre über eine Vielzahl von Korruptionsfällen bei der FIFA haben nur beispielhaft aufgezeigt, was alles im Argen liegt. Die "auf freiwilligem Engagement basierenden Strukturen" sind den heutigen komplexen Aufgaben oft nicht (mehr) gewachsen und bedürfen dringend der Weiterentwicklung. Ehrenamtliche Führung kann nicht heißen, dass unprofessionell gearbeitet wird. Die Anstöße seitens der EU zu Good Governance treffen deshalb den Kern der aktuellen Herausforderungen der Selbstverwaltung des Sports.

Probleme und Lösungsansätze

Am Anfang steht die Erkenntnis, dass Sport und Ehrenamt nicht per se gut oder gar ein Garant für Gesetzestreue und ethisches Geschäftsgebaren sind. Im Gegenteil: Die meist ehrenamtlich getragenen Vereins- bzw. Verbandsstrukturen zeichnen sich häufig durch fehlende Kompetenz, unzureichende Kontrollen und langjährige Verbundenheit der handelnden Personen in einem Netz von Abhängigkeiten aus. Hinzu kommt die Scheu, Vorgehensweisen zu hinterfragen und kritische Punkte anzusprechen. Es fehlt an einer offenen Kultur - selbst die mit Wahlen von unten nach
oben eigentlich angelegte demokratische Struktur steht in der Praxis oft nur auf dem Papier. All dies erhöht die Risiken. Das gilt vor allem dort, wo Millionenbeträge umgesetzt werden. Wenn der hemdsärmelige Umgang z.B. mit steuerrechtlichen Erfordernissen als "unbürokratisch" gepriesen wird und selbst größere Barzahlungen auch heute noch für normal gehalten werden, dann mangelt es an den unerlässlichen Mindeststandards für ordentliche Geschäftsführung. Profivereine und alle anderen Sportorganisationen mit einem nicht unerheblichen Budget benötigen Compliance-Programme wie andere Wirtschaftsunternehmen auch.

Spezifische Handlungsfelder des Sports

Im Sport müssen dabei nicht nur allgemeine Geschäftsrisiken z.B. im Finanzbereich und bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werden, sondern - abhängig von der jeweiligen Sportart - zusätzliche spezifische Handlungsfelder (z.B. Transfers) und Risiken (z.B. Doping, Match-Fixing oder sexuelle Belästigung). Auch hinsichtlich der Rechte der Beschäftigten steht der Sport vor besonderen Aufgaben: Die in den achtziger Jahren eingeführten Athletenvertretungen (z.B. Athletensprecher/innen und Beiräte) sind überfordert, wenn es um die Interessen von angestellten Profis geht. Kein Wunder, dass der Beschäftigten-Datenschutz sowohl im geltenden Anti-Dopingsystem als auch sonst im Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten von Profis auf der Strecke bleibt. Doch auch dies gehört zur Good Governance genauso wie eine konsequente Null-Toleranz-Haltung gegenüber Doping. Wenn der DOSB und ein Olympia-Stützpunkt Werbung für Nahrungsergänzungsmittel machen, obwohl diese – auch von der  Nationalen Anti-Doping-Agentur - als Risiko im Hinblick auf die Herausbildung einer Dopingmentalität gesehen werden, oder die Stiftung Deutsche Sporthilfe Jan Ullrich fünf Tage, bevor ihn der Court of Arbitration for Sport („CAS“) wegen Dopings sperrt, zum Ball des Sports einlädt, dann zeigt dies grundlegende Defizite im deutschen Sport. 

Für die Vereine an der Basis fehlt es bei alldem am Vorbild sowie an klaren Vorgaben von oben, insbesondere aber auch an Hilfestellungen, wie mit zumutbarem Aufwand Mindeststandards an Transparenz und verantwortlichem Handeln erreicht werden können.

Einfluss von Politik und Sponsoren

Was die Sportorganisationen nicht oder nur zögerlich aus eigenem Antrieb schaffen, können Politik und nicht zu vergessen die Sponsoren mit Bedingungen für die Vergabe von Geldern in Bewegung setzen. Das Förder-Programm von Sport England mit über 100 Millionen Britischen Pfund per Jahr aus Lotteriemitteln knüpft z.B. die Zuschüsse an ein Self-Assessment und die Entwicklung von Maßnahmen der Good Governance seitens der Empfänger (http://www.sporteng
land.org/support__advice/governance_framework_tool/using_the_framework_tool.aspx). Unternehmen haben begonnen, Compliance-Standards für ihr Sponsoring zu entwickeln – schließlich hängt dessen Wirksamkeit entscheidend davon ab, ob der gesponserte Verein/Verband seine Risiken im Griff hat oder aber Doping- oder Match-Fixing-Skandale drohen. Das EU-Sportforum 2012 auf Zypern beschäftigte sich intensiv mit Good Governance sowie dem Kampf gegen Match-Fixing, der Europäische Fair Play-Kongress im Oktober hat „Sport und Korruption“ auf der Tagesordnung und die 5. Welt-Sportminister-Konferenz (MINEPS V) Ende Mai 2013 in Berlin widmet eines von drei Hauptthemen der Integrität des Sports.


Die Integrität des Sports steht in Frage

All diese Initiativen senden deutliche Signale: Die Integrität des Sports steht grundsätzlich in Frage. So geht es z.B. beim Thema Match-Fixing nicht nur um die Abwehr krimineller Elemente von außen und Präventionsmaßnahmen in den oberen Etagen des aktiven Sports. Auf breiter Ebene ist – sicher nicht nur – in Deutschland das Phänomen von Spielmanipulationen zum Ende der Saison in Mannschaftssportarten bekannt. Insider von der Basis lächeln wissend, wenn die Sprache darauf kommt. Wenn Teams in der Tabellenmitte nichts mehr zu gewinnen/verlieren haben, wird dem Nachbarverein schon mal durch eine absichtliche Niederlage Hilfe gegen den Abstieg geleistet. Unrechtsbewusstsein haben die Beteiligten nicht, manchmal geht es um einen Kasten Bier, manchmal einfach nach dem Motto „Helfen wir Euch dieses Jahr, revanchiert Ihr Euch in der nächsten Saison“. Solange der Sport solche Einstellungen nicht auf breiter Ebene als sportwidrig und inakzeptabel ächtet und offensiv dagegen vorgeht, werden alle Anstrengungen um Integrität scheitern. Null-Toleranz kann nicht abgestuft angewendet werden. Dies gilt im Übrigen auch im Zusammenspiel des Kampfs gegen Match-Fixing und Doping mit Good Governance: Nur wenn in der Führung von Vereinen und Verbänden integre Personen den Ton vorgeben und die Prinzipien der Transparenz und Verantwortlichkeit in allen Belangen Leitschnur sind, wird Aktiven und Schiedsrichtern ein glaubwürdiges Beispiel für ihr eigenes Verhalten im Wettkampfsport vorgelebt. Integrität setzt in der Spitze an – dies ist die Lektion, die der Sport noch lernen muss.